Emil Wachter (1921-2012)

Emil Wachter, Wandteppich ( Seitenaltar links), 1979/81, Wollstickerei, Herz-Jesu-Kirche, Singen, Foto: Marcus Schwier

Wandteppiche, 1978-81

Wollstickerei
Herz-Jesu-Kirche Singen

Emil Wachter war ein ungewöhnlicher Künstler, da er nicht nur eine Ausbildung als Maler und Bildhauer an der Karlsruher Kunstakademie durchlaufen, sondern ab 1939, unterbrochen durch Kriegsdienst und Gefangenschaft, auch Theologie und Philosophie an der Universität Freiburg studiert hatte. Der Künstler stand fest in der christlich-jüdischen Tradition, so dass „der deutsche Chagall“ ab den 1950er Jahren, wenn auch immer wieder angefeindet, insbesondere für die katholische Kirche zahllose Kunstwerke, darunter die komplette Ausgestaltung und Ausstattung großer Sakralräume, schuf. Mit dem Anwachsen der Aufgaben eignete sich Wachter unermüdlich neue Materialien, Werkstoffe und Techniken an, um sowohl seine freien wie seine Auftragsarbeiten in angemessener, Tradition und Moderne versöhnender Weise umsetzen zu können. Daneben existiert ein immenses Oeuvre „weltlicher“ Arbeiten – darunter zahllose Aquarelle vom Bodensee, den der Künstler gern und oft aufsuchte.

Die Reform der Liturgie durch das II. Vatikanische Konzil (1962-65) und ein Erdbeben 1969 brachten auch für die 1909 bis 1911 historisch im neoromanischen Stil ausgestaltete Herz-Jesu-Kirche in Singen Umbauten und eine Neuausstattung mit sich. Neben Klaus Ringwald, der die liturgischen Hauptstücke in Bronze schuf, entwarf Emil Wachter außer mehreren Glasfenstern zwölf großformatige Wandteppiche für den Chorraum und für die beiden Seitenälteren im Querschiff. Von 1978 bis 1981 setzen, unter Anleitung des Künstlers, zahlreiche Gemeindemitglieder diese Entwürfe in gestickte Bildteppiche um. Über den Seitenaltären, eingepasst in die vorhandenen Wandnischen, ersetzen diese Bildteppiche Altarbilder.

Für den linken Altar schuf Wachter ein komplexes Bild, das in der Vereinigung zahlreicher neutestamentarischer Szenen, archetypischer Figuren, tradierter Symbole und Farben eine Art Essenz vom Anfang und Ende der christlichen Schöpfungs- und Heilgeschichte vermittelt. In den Baum des Lebens eingeschrieben sind das erste Menschenpaar und zahlreiche Zeichen für das Paradies, von dem die vier Paradiesströme ausgehen. Dabei kippt die Darstellung zwischen Auf- und Ansicht hin und her. Außerhalb des engeren Kreises der Paradies-Baumkrone werden die Schlange und die Vertreibung Adams und Evas in die Welt gezeigt. Über dem Hauptbild ist in einer zweiten Bildzone angelegt: ein Cherubim mit den Gesetzestafeln (Altes Testament) ist der weiß gekleideten Apokalyptischen Frau gegenüber gestellt, die, ausgedeutet als Maria, über die traditionelle weiße Lilie hinweg – Symbol der Reinheit – die Verkündigungsworte des Engels empfängt und auf diese antwortet (Neues Testament).

Die zweizonige Bildaufteilung wiederholt sich im Bildteppich über dem rechten Seitenaltar. Der auferstandene Christus, im weißem, strahlend hellem Licht streng frontal dem Betrachter zugewandt seine Wundmale vorweisend, steht inmitten einer zweigeschossigen Katakombe, deren Tor hinter Christus weit aufgestoßen ist. Die Toten stehen auf und wenden sich Rettung suchend an Christus. Die unterirdische Zone geht im oberen Bildfeld über in einen Weltenberg. Der eingepflanzte Baum, reich umflattert von unterschiedlichen Vögeln, trägt übervoll die Früchte des Lebens. Das Rot dieser Früchte kehrt sinnfällig wieder im roten Pektorale, das auf der Brust Christi ruht.

Die zehn Teppiche im Chorraum entwickeln vergleichbar einem geöffneten Flügelaltar, eine Bildgeschichte, in der alt- und neutestamentarische Szenen über ein zentrales Mittelfeld anagogisch aufeinander bezogen werden. Auf der linken, alttestamentarischen Seite zu sehen sind: Der Besuch der drei Männer bei Abraham (o.l.), der Mannaregen (u.l.), der Brudermord Kains an Abel (o.r.), und das Verlassen der Arche Noahs nach der Sintflut (u.r.).

Rechts, auf der gegenüber liegende Seite, kommen folgende vier Szenen aus dem Leben Jesu zur Darstellung: Die wunderbare Brotvermehrung (o.r.), die Verklärung Christi (u.r.),der Gekreuzigte wird von der Lanze durchbohrt (o.l.) und die Stillung des Sturmes (u.l.). Verbunden sind beide Seiten über den zentralen, größeren und hochformatigen Bildteppich der mittig hinter dem Tabernakel den Baum des Lebens zeigt. Wachter hat hier sehr frei einen kräftigen Baum mit einem Andreaskreuz verbunden, über dem er die Sonne leuchten lässt und auf deren Querbalken je ein Fuß zur Darstellung kommt. Die Symbolik des Fußes ist vielfältig; steht hier wohl für das Wandern des Menschen aus allen vier Himmelrichtungen durch das irdische Leben und durch das Kreuz hindurch zum ewigen Leben.

Emil Wachter ist es gelungen, den Verlust der ursprünglichen Ausstattung nicht nur zu kompensieren, sondern individuelle, ungewöhnlich inspirierende Bildteppiche mit großer Bildwirkung zu schaffen. In ihrer kraftvollen, moderne und tradierte Bildsprache klug austarierenden Gestaltung sind die Bildteppiche ganz auf den Ort ihrer Anbringung und auf Gläubige bezogen, welche die alten Inhalte mit neuem Leben füllen möchten.

Text und Redaktion: Christoph Bauer, Kunstmuseum Singen
Fotos: Marcus Schwier


Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutzerklärung X